Der Augenblick

 
Oft ist es doch eine traurige Sache mit der Liebe. Selten will das Schicksal besiegeln, was das Herz zu hoffen wagt. Und manchmal kommt es nicht einmal dahin, berechtigt Hoffnung zu nähren. Meistens ist schon alles entschieden – also aus – bevor ein Wort gewechselt wurde. Zurück bleibt – nichts. Schon bald nicht mal eine Erinnerung. Denn es gibt Momente, die lassen sich nicht festhalten. Und schon bald macht das Herz der Vernunft Platz, die für solche Dinge einfach keinen Sinn hat.

Dabei könnte alles so einfach sein – denkt man sich. Wenn sich die Gelegenheit der Gelegenheit bietet – und wann kommt es mal dahin? – so läuft doch alles anders. Kein kühler Kopf kann planen, was nicht in seiner Hand liegt. Und einem ergriffenen Temperament Sachverstand abzuverlangen, ist ein ungereimtes Ding.

Wie kommt es dahin, dass sich die Welt gegen einen zu verschwören scheint, dass die Zeit aussetzt und das Mögliche unmöglich wird? Es beginnt mit einem Blick – zwar ein gegenseitiger, aber flüchtiger, eigentlich kein echter, eher einer, der gern einer sein möchte. Besonders tragisch – und irrational - , wenn es darüber nicht hinauskommt, sich die Fronten der Konvention verhärten. Manchem könnte das nicht geschehen. Der verlacht die sensible Gestalt, der es nicht gelingt, Mögliches von Unmöglichem zu unterscheiden – denn darauf wird er es schieben – und der „Realität ins Auge zu sehen“. Dabei versucht jener eben dieses, doch ist die Realität bereits – und das muss wie auf Knopfdruck geschehen sein – zusammengesunken - nein, explodiert! – auf Ausmaße eines kleinen Kosmos: einer fremden, unergründlichen Seele. Das macht den Ort angsteinflößend. So muss man sich befreien aus dieser Dunkelheit, steht unter dem Zwang, ein Lichtlein zu finden – oder unterzugehen.

Könnte man sich mit einem Lichtlein zufrieden geben, dann würden solcherlei Gelegenheiten zu einem erbaulichen Ende führen, denn in den meisten Universen finden sich Sterne. Doch wer ist so genügsam: eine Sonne muss her. Und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Der Mensch ist geduldig. Nein, eher unter Schock, kann sich nicht regen, versucht es aber allenthalben. Irgendwo hängt da zwar ein Warnsignal, Notausgang steht drauf. Und Not ist. Doch weiß das auch das Herz? Die Entscheidung ist gefallen. Hier kommt niemand raus.                                                                        

Denn nun beginnt ein Spiel, das leider nur einen Spieler kennt, die fremde Seele aber zu seinem Zeitvertreibe braucht – man kann nicht anders. Das Spiel heißt: Kontaktaufnahme. Doch es entpuppt sich leider als soziale Katastrophe. Wie fällt man auf, wie kommt man an? Fragen, auf die man bestenfalls eine eindeutige Antwort erhält. Andernfalls: ja andernfalls macht sich Verzweiflung breit. Nicht sofort, aber irgendwann sicher. Und diese währt. Bis zum – bitteren? - Ende.

 Was ist falsch gelaufen? Hätte man sich nicht erdreisten dürfen..? Einander in Ruhe zu lassen – respektvoll oder gleichgültig – das wird voneinander erwartet. Man kennt sich nicht, man schert sich nicht. Ein einseitiges Interesse ist eigenes Verschulden. Und Anmaßung. Wohl ein ungeschriebenes Gesetz.

Doch – so verteidigt sich nun das sehnende Herz – es gibt Fälle, die lassen sich nicht unter irgendeine Regel subsumieren. Da ist nichts klar. Und schon mag sich ein Herz versteigen. Schon? Wann kommt es mal dahin, dass sich ein Herz versteigt? Zu selten, klagt es, viel zu selten. Gewöhnt ist’s man noch lange nicht, im Gegenteil: alles ist neu. Nun gut: es scheint nicht aussichtslos: endlich wird ein Blick erwidert, freundlich. Sogar – doch das ist Spekulation – interessiert, zu kurz jedoch um hier genaures zu erfahren. Alles oder Nichts und viele Fragen. Das Gegenüber: denkt es ebenso? Wohl kaum , doch lässt sich hoffen.

So ein Herz ist feinfühlig. Es weiß genau, was es sich erlauben kann. Und in was es sich überhaupt versteigen will. Der Grad ist schmal, das erklärt die Wüste anderswo. Wann kommt es schon mal vor dass alles passen will? Das zwei Naturen aufeinandertreffen, einander gleichen? Und doch nicht finden...

Ein natürliche Feind hat angegriffen: Die Scham. Sie war mächtig. Sie zog den Tapferen in den Schmutz. Selbstachtung hat sie ihm abgerungen. Doch nur auf kurz. Noch  mächtiger aber ist eine Drohung: Die Schmach. Denn gesetzt dem Fall, die Scham wurde überwunden: Nichts ist gewonnen. Denn ein stolzer Krieger fürchtet doch den Untergang am meisten. Mut ist nun angesagt, Alles zu ergreifen. Eine bange Seele gar ist hierzu niemals zu bewegen. Was steht auf dem Spiel? Nun ja – wer will schon aus einem Universum rausgeworfen werden.?

Wer Anlauf nimmt, doch unversehens zaudert, bekommt die Quittung auf den Fuß. Der dritte Feind entscheidet den Kampf für sich: die Lächerlichkeit. Sie überwindet den Ratlosen vollends. Sie unterwirft ihn. Und die Vernunft dankt’s. Das Herz dagegen muss ins Exil. Es versteht von alledem nicht viel, es kannte nur den Augenblick. Es war ja auch bloß ein Augenblick.

 

© Wolfgang Unger, Aug. 2002